“ Unmöglich ist keine Option. “
Timo Langner
Heute will ich euch von Helden und ihren Taten erzählen. Von den Dingen, die wir für unmöglich halten, bis wir sie vollbringen. Und ich will euch von der Kunst erzählen, all diese Wunder zu entdecken, die sich manchmal im wuchernden Gestrüpp des Alltäglichen versteckt halten. Denn nicht immer sind die bemerkenswerten Erfolge laut und leuchtend.
Als mein Liebster mir von seinem Projekt erzählte, war mein erster Gedanke: “ Jetzt ist er voll in einer Midlifecrisis.“ So ganz habe ich es auch nicht ernst genommen. Bis zum Start konnte ja noch viel passieren. Ich ging davon aus, dass sich diese anfängliche Euphorie verflüchtigen würde wie ein unbedachter Neujahrsvorsatz. Es war für mich komplett unverständlich, wie er ein solches Unterfangen überhaupt in Betracht ziehen konnte.
Kurz zu den Eckdaten: Bis zum Ziel auf dem Eigergletscher auf 2320 m.ü.M. müssen 42.195 Kilometer und 1953 Höhenmeter überwunden werden. Natürlich vor traumhaft schöner und imposanter Kulisse, wie mein Liebster nicht müde wurde zu betonen. Ich bezweifelte stark, ob er diese, unter den gegebenen Umständen, würde geniessen können. Dass er seine Trainingseinheiten anhand einer heruntergeladenen App plante und durchführte, wurde ebenfalls von mir belächelt. Allerdings bemerkte ich schon nach kurzer Zeit, dass er nach den Trainings jeweils auffällig glücklich und motiviert war, den nächsten Lauf in Angriff zu nehmen. Offensichtlich gab es einen Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Joggen und dem Trainieren auf ein Ziel hin. Das würde mir wohl die Hirnforschung auch bestätigen. Es folgten mehrere Treffen mit einem Kollegen und erfahrenen Läufer, der sich doch tatsächlich daraufhin auch für den Marathon anmeldete. Die Geschichte nahm weiterhin einen ungeahnten Verlauf. Wahrscheinlich hatte ich insgeheim gehofft, er würde es ihm ausreden.
Die Trainingseinheiten wurden länger und proportional damit auch die Abwesenheiten meines Teamkollegen im Familienalltag. Ich realisierte langsam aber sicher, dass er das scheinbar ernst meinte und spürte die Auswirkungen, die das auf uns hatte. Es machte sich Eifersucht breit, wenn er auf den weiten Feldern der Umgebung unterwegs war und ich mit den Kindern alleine zu Hause zurückblieb. An einem gewissen Punkt wollte ich dieser Bitterkeit nicht noch mehr Raum geben. Und da trat Gott wieder einmal auf den Plan und schenkte mir eine neue Sicht auf diesen Marathon. Ich wollte nicht nur warten, bis dieser Lauf vorbei war. Ich hatte genug von diesen Zuständen, die man einfach nur erträgt und froh ist, wenn sie vorbei sind. Ich wollte mit derselben Entschlossenheit dieses Finishershirt. Und ich wollte das beitragen, was ich konnte. Es sollte zum Wahrzeichen dafür werden, dass wir als Familie mit Gottes Hilfe alles schaffen konnten.
Am Abend vor dem Lauf war ich so aufgeregt, dass ich mir noch Hilfe von anderen Müttern im Dorf holte, die mit mir seit Jahren beteten. Sie waren alle bereit, meinen Liebsten am nächsten Tag in ihren Gebeten zu begleiten, damit er das Unmögliche mit dem Einen schaffen konnte, dem alles möglich ist.
Ich war sehr froh, als der Tag endlich gekommen war und ich losfahren konnte. Die Nervosität würde an diesem 9.September mein konstanter Begleiter sein. Ungeachtet dessen musste ich mich und meine drei Kinder jetzt aber erstmal auf diesen Berg bringen. In mehreren Gesprächen hatte ich versucht, Mattia vorzubereiten und ihm vor allem erklärt, wie wichtig es mir war, dabei zu sein, wenn sein Vater über die Ziellinie lief. Ich wusste, dass er das alles sehr gut verstanden hatte und er alles tun würde, damit es klappte. Eine Garantie konnte er mir aber keine geben, mit dieser Unsicherheit mussten wir beide leben. So entdeckte ich dann auch schon ein wenig Panik in seinen Augen, als wir oben ankamen und er begriff, was das für ihn bedeuten würde. Fast fluchtartig verliessen wir die Menschenmenge und suchten uns einen schattigen, aber vor allem ruhigen Platz, wo er sich erstmal setzen konnte. Während dem langen Warten in der Hitze fiel ihm dann auch plötzlich ein, dass sein gewohnter Tagesablauf ganz anders sein würde und er wohl auf seine geliebte Medienzeit am Mittag verzichten musste. Auch wenn er all diese Informationen schon erhalten hatte, sah ich ihm an, dass er Schwierigkeiten hatte, diesen Zustand jetzt auszuhalten. Dass die Sonne unbarmherzig auf uns herab schien und sich unablässig immer noch mehr Zuschauer zu uns gesellten, machte die Sache für ihn nicht leichter. Er befand sich in einem unglaublichen Spannungszustand, das sah ich ihm deutlich an. Nur am Rand bemerkte ich deshalb die Gespräche meiner Schwester und einer Kollegin, die den Standort meines Mannes auf dem Handy verfolgten. Auch meine Anspannung wuchs nun schier ins Unermessliche. Irgendwie schafften wir es bis zum roten Teppich, wo die Läufer in unterschiedlichen Verfassungen auf die Ziellinie zuliefen. Mein Blick blieb bei meinem Sohn hängen, der aufgeregter nicht hätte sein können und eine Welle der Zuneigung erfasste mich. Noch bevor ich den Gedanken fassen konnte, erblickten wir alle endlich unseren Lieblingsmarathonläufer und waren nun kaum zu halten.
Und dann geschah das Unglaubliche. Obwohl Mattia sonst immer darauf bedacht war, möglichst nicht aufzufallen, bahnte er sich jetzt einen Weg unter der Absperrung durch, lief auf seinen Vater zu und gab ihm seine Hand, damit sie die letzten paar Meter zusammen gehen konnten.
Der eine Läufer hatte sein lang ersehntes Ziel für alle sichtbar erreicht. Seine Mühen hatten sich gelohnt. Er wurde mit Klatschen und Jubelrufen in Empfang genommen und gefeiert. Der Andere, so wurde mir bewusst, hatte schon so manchen Langstreckenlauf hinter sich, den er ohne Publikum bestritten hatte. Geschweige denn einer Medaille als Belohnung. Nur schon diesen Tag zu überstehen, war eine Herausforderung für ihn. Seine gewohnten Abläufe, die ihm so viel Sicherheit gaben, hatte er schmerzlichst vermisst.
Mit hoch erhobenen Händen gingen diese zwei Helden nun als Finisher über die Ziellinie. Dieses Bild werde ich für immer in meinem Herzen behalten. Und spätestens jetzt war klar: Unmöglich war keine Option, für keinen von uns.
Michèle meint
Liebi Daniela
Es ist immer wieder eine wahre Freude Deine Geschichten zu lesen.
Ich freue mich jedesmal aufs neue.
Vielen Dank Dir🙏🏻🫶🏻
Härzlichi Umarmig us em BEO
Michèle
Pap meint
Ich bin immer wieder fasziniert von deinen Kommentaren. Es berührt mich bis tief in mein Herz. Was habe ich doch für eine wundervolle Tochter.