“ Der Sprung ins kalte Wasser fühlt sich nicht wärmer an, wenn man später springt. “
Susann Hoffmann
Mit ungläubigem Blick und umgeben von unserem in seine Einzelteile zerlegten Staubsauger sitzt mein Liebster auf dem Parkettboden. Er schüttelt so heftig den Kopf, dass man sich um ein Schleudertrauma Sorgen machen könnte. Ich bin sofort geneigt, die Situation mit einem blöden Spruch zu entschärfen, aber je näher ich an den Ort des Geschehens herantrete, desto bewusster wird mir der Ernst der Lage.
Die Operation “ toter Staubsauger “ geht wohl zum grossen Teil auf meine Kappe. Ich bin eigentlich ein riesen Gegner von dieser ewigen Suche nach Schuldigen. Das mag im Fernseher ganz unterhaltsam sein, bei uns führt das aber meistens zu nichts. Ich investiere meine Energie lieber ins gemeinsame Suchen nach kreativen Lösungen. Aber da ich nun mal in diesem Fall diejenige bin, die dieses Haushaltsgerät hauptsächlich benützt, würde bei der Fahndung keine Spannung aufkommen. Es liegt auf der Hand. Und ich schäme mich, denn ich weiss, wie es dazu kommen konnte.
Das ist nun schon das zweite Mal in nur einer Woche, dass ich eine tiefe und noch nicht so häufig dagewesene Dankbarkeit dafür verspüre, dass mein Mann total gegensätzlich zu mir funktioniert. Das erste Mal war ich froh, dass er Jahre braucht, um von einem aussortierten Gegenstand Abschied zu nehmen. Man könnte es ja plötzlich doch noch einmal dringend brauchen. Und siehe da, unser alter, verstaubter Staubsauger hat mir tatsächlich aus der misslichen Lage geholfen, als der Jüngere den Geist aufgab. Und jetzt sitzt er da auf dem Boden der Tatsachen und hat nicht aufgegeben mit der Suche, bis er den Grund für die Störung herausgefunden hat. Ich hingehen habe mir schon die Sonderangebote für ein neues Modell angesehen. So aber ist mir der Gang zur Reparatur und vor allem die Demütigung beim Abholen erspart geblieben. Da liegen sie nun, die Übeltäter. Winzig kleine Legoteile, kaum erkennbar, weil sie von abertausenden von Staubfetzen, Brotbrösmeli und sonstigem Undefinierbarem umgeben sind.
Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings noch sagen, dass es äusserst anspruchsvoll ist, das Zimmer meiner legobegeisterten Jungs zu saugen. Nach all den Jahren hat sich das für mich fast zu einer olympischen Disziplin entwickelt. Es erfordert höchste Konzentration und ein hohes Mass an Selbstdisziplin, wenn man während der Ausführung trotz aller Vorsicht doch auf ein kleines Teilchen tritt. Barfuss. So kann es denn auch passieren, dass eines von den vielen Liegengebliebenen im Staubsauger landet. “ Macht nichts. Ist nicht so schlimm. War nur ein Kleines. “ Mit diesen Gedanken versuche ich den Lärm zu übertönen, der entsteht, wenn das Lego seine Runden dreht. Es würde mich in meinem Arbeitsfluss unterbrechen, wenn ich es herausholen würde. Nun kann man das schon machen, wozu es führt, habe ich aber soeben mit eigenen Augen gesehen. Worauf ich hinaus will fragst du dich? Mein Staubsauger hat mir gerade eine Lektion erteilt. Viel zu oft mache ich genau solche Aussagen über meine Umstände. Ist ja nicht so schlimm, es geht nicht um Leben und Tod. Andere haben viel grössere Probleme. Ganz unbemerkt bleibt der Alltagsstaub an diesen Teilchen hängen und verbindet sich mit der Zeit, sammelt sich an, bis nichts mehr geht. Anstatt dass ich kurz den Stecker rausziehe und es entferne. Es gehört dort nicht hin und wird früher oder später Schaden verursachen. Es reicht, wenn der ganze andere Rest dort landet. Ist ja nicht so, dass es zu wenig davon gäbe. Deshalb lohnt es sich wahrscheinlich schon, auch bei den kleinen Dingen, die einem das Herz schwer machen, hinzuschauen. Nicht um dann dort zu verweilen und sich zu bedauern, aber um ungestörter weiter zu gehen.
Das werde ich beim Staubsaugen nun auch machen habe ich mir fest vorgenommen. Mein Mann ist ja auch nur ein Mensch und wahrscheinlich nicht unbegrenzt gnädig mit mir.
Sarah meint
Wieder ein wunderschöner Text, weise Worte und Gedanken, die mich anregen. ‘Achtsamkeit’ auf eine Art beschrieben, die mich anregt (nicht bloss: ‘zünde eine Kerze an und gönn dir mal eine schöne Pause’ ;-)).